Die Kampagne endet in diesem Jahr. Umso erfreuter waren die Forschenden, als das Gräberfeld im Juni einmal mehr eine große Überraschung bot: mitten zwischen den zahlreichen bereits im Mittelalter geplünderten Gräbern kam die Bestattung eines Mannes zum Vorschein, der seit über 1300 Jahren unberührt in der Erde verborgen lag.
In der Regel lassen sich die merowingischen Gräber an der Rotweinstraße gut an der dunkleren Verfüllung der Grabgrube erkennen. In diesem Fall war keine Verfärbung erkennbar, der ganze Bereich durch angrenzende Gräber stark gestört und schwer zu interpretieren. „Als der Rand eines Schildbuckels zum Vorschein kam, war erst nicht klar, ob er zu einem der gestörten Gräber oder zu einem noch unentdeckten gehörte“, erzählt Grabungsleiter Christoph Bassler. „Also haben wir vorsichtig weiter gegraben, bis klar war: wir haben zwischen zwei beraubten Bestattungen tatsächlich ein noch komplett unberührtes Grab entdeckt, welches die Grabräuber aus irgendeinem Grund übersehen haben mussten.“
Wertvolle Erkenntnisse über Sitten und Mode
Hätten die Plünderer damals gewusst, was ihnen entgangen ist, hätten sie sich wohl sehr geärgert. Denn die Bestattung mit der Befundnummer 447 hat es buchstäblich in sich: der darin zur letzten Ruhe gebettete Mann war bis an die Zähne bewaffnet. Seine wertvollste Beigabe ist ohne Zweifel eine Spatha, ein zweischneidiges Schwert, das man dem Toten neben seinen rechten Arm gelegt hatte. „Die Länge der Spatha-Klinge beträgt ca. 75 cm, das ganze Schwert mitsamt Heft und Knauf ist etwa 93 cm lang“, berichtet Bassler. „Die Klinge ist sogar noch leicht flexibel, das spricht für einen außergewöhnlich guten Erhaltungszustand“, freut sich der Frühmittelalter-Experte. Auch andere Teile des Schwertes sind noch vorhanden, sofern sie aus Metall gefertigt waren, etwa Elemente der Scheide aus Bronze sowie Fragmente der Aufhängung bzw. des Gurtes: alles liegt noch so da, wie es vor Jahrhunderten niedergelegt wurde, woraus die Forschenden wertvolle Erkenntnisse über Bestattungssitten und Mode jener Zeit gewinnen können. Die eng anliegenden und leicht nach oben gezogenen Schultern des Skeletts – die so genannte Sarghaltung – belegen, dass der Verstorbene in einem Holzsarg bestattet wurde, von dem sich keine Überreste erhalten haben.
Außer dem Schwert besaß der Mann noch ein massives Breitsax, von dem die Klinge sowie die bronzenen Nieten der Scheide gefunden wurden. Ein solches Sax, eine Art schweres und kurzes Hiebschwert, ist in Gräbern dieser Zeit nicht selten. Dieser Mann hatte aber zusätzlich noch ein weiteres, schweres Messer und darüber hinaus auch noch eine Lanze, von der sich immerhin die Spitze erhalten hat. Zusammen mit dem Schild verfügte der Verstorbene, mit Ausnahme eines Bogens, über praktisch alle Waffengattungen, die zu seiner Zeit in Gebrauch waren. Trotz seiner martialischen Ausrüstung war der Krieger aus Grab 447 kein Berufssoldat im heutigen Sinne, denn im frühen Mittelalter gab es kein stehendes Heer. Jeder freie Mann musste stattdessen seinem Anführer folgen, wenn er zu einem Kampf gerufen wurde. Für seine Ausrüstung musste er dabei selbst sorgen. Insofern spricht das beeindruckende Waffenarsenal dafür, dass sein Besitzer zu Lebzeiten entsprechend wohlhabend gewesen sein muss.
Beigaben und Knochen werden analysiert
Alle Beigaben aus dem Grab wurden inzwischen einem Restaurator übergeben. Die weiteren Untersuchungen sollen u. a. die vorläufige Datierung des Grabes näher eingrenzen. Bislang deuten stilistische Ausprägungen wie der flache Schildbuckel mit breitem Rand und das massive Sax auf das 7. Jahrhundert. Viele Details der Ornamentik wie die Einlegearbeiten aus Silber, so genannte Tauschierungen, werden sich jedoch erst zeigen, wenn die dicken Rostschichten entfernt wurden. Auch Dezernentin Eveline Breyer verspricht sich von den laufenden Analysen neue Erkenntnisse: „Dieser außergewöhnliche Fund ist ein weiteres Puzzleteil für unser Bild der Stadt im frühen Mittelalter. Er wird uns wie die vielen anderen Entdeckungen an der Rotweinstraße helfen, diese älteste Gesellschaft Ingelheims besser zu verstehen und auch zu veranschaulichen.“
Dazu könnten auch die Ergebnisse der anthropologischen Knochen-Analysen beitragen. Denn woran der etwa 30 bis 40 Jahre alt Mann starb, ist noch unklar. In Frage kommen Krankheit oder Gewalt. Angesichts der kriegerischen Anmutung der Grabausstattung würde eine im Kampf erlittene Verletzung zumindest niemanden überraschen.