In einer szenischen Darstellung erinnerten sie am 85. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 an die Verbrechen an den jüdischen Mitbürger. Ihre Mahnung: „Jetzt ist nie wieder! Es geht um Zivilcourage und Menschlichkeit.“
Der Antisemitismus hat sich nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober in Israel auch in Deutschland verschärft. Für den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Bad Kreuznach/Birkenfeld, Valeryan Ryvlin, war dies „der schwerste Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust.“ Oberbürgermeister Emanuel Letz beklagte die Bedrohung und die Angriffe auf jüdische Bürgerinnen und Bürger, das Verbrennen israelischer Flaggen, die Beschädigung jüdischer Einrichtungen. „Erlauben wir dem Hass nicht, dass die vielen Konflikte dieser Welt sich hier bei uns in Bad Kreuznach fortsetzen.“ Die große Teilnehmerzahl von rund 400 zum Gedenken der Opfer der Reichspogromnacht ist auch ein Zeichen der Anteilnahme und Solidarität mit den Opfern im Nahen Osten. Wegen der Großbaustelle in der Mühlenstraße fand in diesem Jahr das Gedenken nicht am Mahnmal der zerstörten Synagoge statt, sondern an der Synagoge in der Alzeyer Straße.
„Vor genau 85 Jahren entfesselten die Nationalsozialisten einen barbarischen Angriff auf die jüdische Bevölkerung in Deutschland. Sie zerstörten Synagogen, Wohnungen, Geschäfte und Friedhofe. Sie verhafteten, misshandelten und ermordeten Tausende von Menschen. Sie löschten ein Jahrtausende altes kulturelles Erbe aus“, sagte Oberbürgermeister Emanuel Letz, der seine Rede mit einer Schweigeminute für die Opfer der Reichspogromnacht schloss. Irene Dilly, Mitglied der Stadtarchiv-AG „30 jüdische Biografien“, erinnerte an das Schicksal von Rina Strauß geb. Garde. Nach dem Tod ihres Mannes Lion Viktor Strauß führte sie das Geschäft „Frankfurter Schuhlager“ in der Mannheimer Straße 89 am Kornmarkt weiter. Wie viele andere Geschäfte zerstörte es der braune Mob in der Reichspogromnacht. Rina Strauß wurde im Alter von 75 Jahren in das KZ Theresienstadt gebracht und anschließend nach Treblinka deportiert, wo sie am 21. oder 22. September 1942 ermordet wurde. Ihr einziger Sohn Julius überlebte die Grauen des Nationalsozialismus (KZ und Gefängnis), floh nach Amerika, wo er 1974 in San Franciso starb.
Vor dem Totengebet „El Male Rachamim“ (Kantor jüdische Gemeinde Alexander Zakharenko) sprachen auch der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Bad Kreuznach, Pfarrer Markus Becker, und seine Stellvertreterin, Pfarrerin Abigail Bock, Gebete. Es sei unerträglich, dass jüdische Bürger in Deutschland wieder Angst haben müssten. Das Gedenken wurde musikalisch vom Chor der Jüdischen Kulturgemeinde und von Fryderyk Jona gestaltet.
Valeryan Ryvlin schloss seine Rede: „Wir bleiben jedenfalls Optimisten und möchten dran glauben, dass die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, in Rheinland-Pfalz und hier in Bad Kreuznach gesichert bleibt und dass die schrecklichen Tage vor 85 Jahren endgültig der Vergangenheit angehören. Nie wieder ist jetzt! Das ist ein Auftrag an uns alle. Jeden Tag!“