Heiko M. Ebert/ Alessandro Conradt (RNN)

D-Ticket: Zuschussbedarf geht in die Millionen

 

Revolution im ÖPNV oder ein teurer Spaß für die Steuerzahler? Das Deutschland-Ticket soll die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel attraktiver machen. Im Mai wurde es als „49-Euro-Ticket“ eingeführt. Doch seine Zukunft und vor allem sein Preis in Zukunft sind noch ungewiss.
In der Region ist der Rhein-Nahe-Nahverkehrsverbund für die Abwicklung des D- Tickets verantwortlich. Wir sprachen mit Prokurist Heiko M. Ebert und Tarifmanager Alessandro Conradt über ein halbes Jahr Erfahrung mit dem D-Ticket, die Abrechnungsmechanismen im Hintergrund und die Zukunft der bundesweiten Regio-Fahrkarte.


VorSicht: Wie viele Deutschland-Tickets wurden bisher im RNN-Tarifgebiet verkauft? 

Heiko M. Ebert: Wir können Ihnen sagen, wie viele D-Tickets an den Tarifgeber RNN gemeldet werden. Im September waren dies 28.000 Stück, das bedeutet, dass sie entweder von der KRN, von der NVB oder von den Stadtwerken Bingen verkauft wurden, also den beteiligten Verkehrsunternehmen, die jetzt hier regional einen Hauptteil ihrer Verkehrsleistung erbringen. Über die Karten, die zum Beispiel im DB-Navigator verkauft werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage treffen, die sind auch in der angegebenen Zahl nicht enthalten. Bei den Jobtickets sehen wir klarer, da wir hier die einzigen sind, die das im RNN anbieten, denn sie sind ausschließlich in der RNN D-Ticket App erhältlich. Hier zählen wir 2.600 Tickets im Monat.

VorSicht: Wo liegt denn der Vorteil eines D-Jobtickets?

Heiko M. Ebert: Für Privatperson liegen die Kosten für das Deutschland-Ticket bei 49 Euro. Das Jobticket kommt dann ins Spiel, wenn der Arbeitgeber bereit ist, mindestens 25 Prozent zu übernehmen, das sind 12,25 Euro. Dann gibt es nochmal einen um fünf Prozent ermäßigten Preis, so dass der Arbeitnehmer dann eine 30-prozentige Ermäßigung bekommt. Der Arbeitgeber kann natürlich auch mehr zahlen und zum Beispiel die Kosten komplett übernehmen. Dies ist für Arbeitgeber jeder Größenordnung möglich.

VorSicht: Wie hoch ist die Zahl der D-Tickets, die an die Schüler in den Landkreisen kostenfrei ausgegeben wurden?

Alessandro Conradt: Rund 21.000 sind von den Verkehrsunternehmen an den RNN gemeldet worden. Das läuft alles über die regionalen Busunternehmen – und die Schüler-D-Tickets werden überwiegend in Chipkarten-Form ausgegeben.

VorSicht: Wie haben sich denn die Verkäufe der sonstigen Zeitkarten nach der Einführung des D-Tickets entwickelt?

Alessandro Conradt: Wir haben eine Einschätzung, indem wir den September dieses Jahres mit dem September 2019, also dem Vor-Corona-Jahr, verglichen haben. Wenn man die derzeit an uns gemeldeten Ein- nahmen der D-Tickets abzieht, dann liegen wir bei knapp der Hälfte an Einnahmen, weil die Menschen letztendlich auf das Deutschland- Ticket gewechselt sind. Aber auch im Einzelkartensegment wurden uns rund 40 Prozent weniger Einnahmen gemeldet.

VorSicht: Können diese Differenzen durch die Zahlung von Bund und Land ausgeglichen werden?

Heiko M. Ebert: Die Einnahmeverluste aufgrund des Deutschland-Tickets müssen natürlich ausgeglichen werden. Ansonsten kriegen wir im Nahverkehr Probleme, weil die Verkehrsleistung, der Bus- und Bahnlinien so wie sie heute gefahren werden, auch in Zukunft angeboten werden sollen.

VorSicht: Der Bund hat sich mit den Ländern darauf geeinigt, dass das Deutschland- Ticket fortgeführt wird. Unklar ist, zu welchem Preis. Haben Sie ein Gefühl, wohin sich der Preis entwickeln könnte?

Heiko M. Ebert: Das Gefühl ist relativ klar: Es wird nicht bei den 49 Euro bleiben können, weil die vom Bund und Land zugesagten drei Milliarden Euro nicht reichen werden, diesen notwendigen Ausgleich zu leisten.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat die Zahlen mal durchgerechnet. Er geht von 4,1 Milliarden Euro Zuschussbedarf in 2024 aus. Wenn die 700 Millionen Euro mit eingerechnet werden, die für 2023 nicht benötigt wurden, weil das Ticket später gestartet ist, stehen rund 3,7 Milliarden für den Ausgleich bereit.
Rund 400 Millionen Euro müssen also dadurch refinanziert werden, dass der Preis für das D- Ticket steigt. In welchem Umfang konkret, werden wir erst wissen, wenn das bundesweite Clearing-Verfahren angelaufen ist und wir eine Datengrundlage haben.

VorSicht: Wie hoch ist der Zuschussbedarf für das RNN-Gebiet?

Heiko M. Ebert: Die Erlöse, die man erwarten würde, wenn es das Deutschland-Ticket nicht gegeben hätte, liegen ab Mai 2024 bei etwa 47,4 Millionen Euro. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass die Einnahmen aus den Fahrkartenverkäufen um rund 50 Prozent niedriger liegen, haben wir einen Zuschussbedarf von über 20 Millionen Euro im RNN-Verbundgebiet.

VorSicht: Eine Erwartung an das Deutsch- land-Ticket war ja, dass dadurch Menschen motiviert werden, auf den ÖPNV umzusteigen. Spiegelt sich das in den Zahlen jetzt schon wider?

Alessandro Conradt: Dafür müsste man eine komplette Verkehrserhebung durchführen, die ist jetzt kurzfristig nicht vorgesehen. Üblicherweise haben wir unsere Fahrgastzahlen immer aufgrund der Verkäufe geschätzt – die sind aber im Moment durch die Funktionsweise des D-Tickets nicht aussagekräftig. Erst wenn wir die zugeordneten Erlöse auf Postleitzahlen- Ebene haben, können wir nochmal so einen groben Anhaltswert liefern. Das läuft über ein bundesweites Clearing-Verfahren und wird ab 2024 auf die Regionen aufgeteilt, sodass wir dann erst eine Größenordnung haben, in welchem Umfang D-Tickets in der Region gekauft wurden.

Heiko M. Ebert: Wir haben es für die Kunden durch das D-Ticket super einfach gemacht. Aber im Hintergrund ist alles wesentlich komplexer geworden, weil die Geldverteilung eben bundesweit geregelt werden muss. Fakt ist, dass wir durch die neuen Busnetze das Verkehrsangebot wesentlich erweitert haben. Letztendlich ist es das Zusammenspiel aus einem guten Verkehrsangebot und einem attraktiven Preis, was den ÖPNV am Ende attraktiv macht. Aus meiner Sicht haben wir jetzt im RNN die Situation, dass wir in allen Landkreisen ein hochwertiges Busangebot mit vertakteten Verkehren auf allen wichtigen Linien haben und das D-Ticket eine Möglichkeit bietet, eben das kennenzulernen und auszuprobieren.
Das braucht natürlich eine gewisse Zeit – es ist ja noch relativ frisch und muss erst in den Köpfen der Menschen ankommen.

VorSicht: Wie zeitnah werden denn die Ausgleichszahlung getätigt, um Liquiditätsprobleme für die Unternehmen zu vermeiden? 

Heiko M. Ebert: Es gab bereits zwei Abschläge, das heißt, die Verkehrsunternehmen im RNN haben jetzt ungefähr 90 Prozent des er- warteten Ausgleichs. Es wird noch eine Spitzabrechnung folgen, wenn die Werte aus dem Jahr 2023 komplett abgerechnet und testiert sind. 

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