Nino Haase
Oberbürgermeister von Mainz
Deutlich setzte sich Nino Haase bei der Stichwahl zum Mainzer Oberbürgermeister gegen seinen Mitbewerber von den Grünen, Christian Viering, durch und übernahm als erster Parteiloser die Amtsgeschäfte als „erster Bürger“ der Landeshauptstadt. „initiativ“ hat mit ihm über die städtischen Finanzen, den Wohnungsbau und den ÖPNV in Mainz gesprochen.
VorSicht: Sie haben das Amt des Mainzer Oberbürgermeisters in einer Zeit übernommen, in der sich die Situation der Stadt sehr gewandelt hat – vor allem mit Blick auf die Finanzsituation. Mehr Gestaltungsfreiheit scheint möglich, wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der Stadt in den kommenden Jahren?
Nino Haase: Im Vergleich zu anderen Städten sind wir nun natürlich in der Lage, Sachen zu wuppen, die andere Kommunen nicht können. Beispielsweise einer kommunalen Wohnbaugesellschaft mal eben so einen Unterstützungskredit aus den liquiden Mitteln zu geben. Das kann nun unter anderem dafür sorgen, dass der Wohnungsbau nicht völlig zum Er- liegen kommt – das droht ja in vielen anderen Regionen. Wir können uns nun über Zukunftsprojekte, über die Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung, aber auch über kulturelle Projekte ganz andere Gedanken ma- chen. Wir sind jetzt handlungsfähig. Da sticht Mainz aktuell absolut heraus. Diese Dynamik möchte ich als Oberbürgermeister natürlich bewahren – dazu zählt unter anderem auch ein niedriger Gewerbesteuerhebesatz.
VorSicht: Die Gewerbesteuern bleiben aber wohl nicht ewig auf diesem hohen Niveau ...
Nino Haase: Das ist richtig, aber wir sind jetzt in der glücklichen Lage, dass wir unsere Schulden abbezahlen konnten und können und auch einen gewissen Ertrag aus unseren Anlagen erzielen. Und wir haben einen dauerhaft gesteigerten Anteil an der Einkommenssteuer, indem hier neue Jobs geschaffen werden. Das fällt bei der Diskussion oft ein bisschen hinten runter. Aber das ist eine Steuer, die etwas verlässlicher fließt als die Gewerbesteuer – das darf man nicht vergessen.
VorSicht: Die Ansiedlung von Biotechnologie-Unternehmen ist ein Thema, das nach den Erfolgen von BioNtech viel Schwung gewonnen hat. Ist denn dieser Schwung aus der Hochphase erhalten geblieben?
Nino Haase: Wir haben immer noch ein Rieseninteresse an Ansiedlungen hier, auch an großen Ansiedlungen. Das werden wir mit allem Nachdruck weiter verfolgen. Den Aus- bau des Biotechnologie-Clusters haben Sie ja erwähnt. Wir dürfen aber zum Beispiel auch den Ausbau der Universitätsmedizin nicht vergessen. Wir reden von einem Investitionsvolumen von 2,2 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Es ist schon sehr, sehr gewaltig, was sich hier tut. Und das nimmt man auch international wahr. Demzufolge bekommen wir auch viele Anfragen ...
VorSicht: Ihre Maxime im Wahlkampf war „Mainz aktiv gestalten, statt nur zu verwalten“. Nach einem halben Jahr: Was konnten Sie denn schon gestalten?
Nino Haase: Ein halbes Jahr ist relativ kurz – das ist nicht jedem so klar. Aber es gibt ein paar Kernthemen, die ich sofort angehen wollte. Eines davon ist das Thema Kinder- und Kita-Betreuung. Für einen florierenden Wirtschaftsstandort ist die fast wichtigste Frage: Kann ich eine Kinderbetreuung nachhaltig sicherstellen? Und da sind wir auf einem guten Weg: Wir haben ein großes Personalprogramm auf den Weg gebracht, mit dem wir unsere Kita-Fachkräfte entlasten und die Betreuung sicherstellen wollen – mit vielen unterstützenden Stellen.
Im Moment sind wir auf einem niedrigen Stand bei den nicht besetzten Stellen im Erziehungswesen wie seit Jahren nicht. Wir hatten 110 unbesetzte Stellen, als ich begonnen habe. Jetzt liegen wir bei 88. Das ist noch nicht das Ende, aber es ist ein Silberstreif.
Ein anderes wichtiges Thema ist für mich Transparenz bei den zukunftsweisenden politischen Entscheidungen.
Für die ersten Monate fand ich das eigentlich ganz gut, zusammen mit den vielen kleineren Projekten, die man quasi so en passant mit anstößt und betreut – angefangen von einer Cafeteria hier im Stadthaus bis zu neuen Müll- eimern in der Innenstadt.
VorSicht: Mainz ist eine Einpendlerstadt. Viele Arbeitnehmer kommen aus der gan- zen Region, um hier zu arbeiten – was na- türlich Verkehrsprobleme mit sich bringt. Welche Lösungsansätze verfolgen Sie?
Nino Haase: Ich habe drei Jahre in München gelebt und die Stadt immer als Vorbild empfunden, was die Verkehrsplanung betrifft. Ich war gerade wieder da und musste feststellen: Es ist dort noch viel schlimmer als hier. Fest steht: Eine Stadt kann nicht mehr so mit ihrem Verkehr wachsen wie in der Vergangenheit, imdem man baut eine Spur dazu baut – und dann ist das Problem gelöst. Mittlerweile leben in Mainz 226.000 Menschen. Und wir können nicht einfach Straßenkapazitäten ausweiten. Wir müssen das effizienter machen, beispielsweise durch ein Park-and-Ride-Konzept mit dem Umland, das jetzt aufgelegt werden soll. Mit dem Umland habe ich bereits entsprechende Gespräche geführt. Ein anderes Thema ist beispielsweise der Ausbau der Rheinhessenstraße mit einer ÖPNV-Trasse. Meine Hoffnung ist, dass wir zumindest eine Perspektive gewinnen, in welchem Zeitraum ein solches Projekt angegangen werden kann. Ob so ein Projekt bis zum Ende einer Amtszeit umgesetzt ist, das weiß ich nicht, aber starten sollte man es auf jeden Fall.
Auch in der Stadt müssen wir unseren ÖPNV ausbauen, wir planen gerade zwei neue Straßenbahnlinien und investieren ganz viel in ÖPNV-Infrastruktur.
Es tut sich schon einiges. Bis alles umgesetzt ist, wird es aber noch einen Moment dauern. Innerstädtisch wollen wir die Autos der Anwohner aus den Straßen in die Parkhäuser bekommen. Das habe ich jetzt im Sommer angestoßen.
VorSicht: Stichwort Park-and-Ride: Wo können Sie sich einen entsprechenden Hub vorstellen?
Nino Haase: Das muss ich mir ja zum Glück nicht vorstellen. Das Konzept wird von den Fachämtern erarbeitet, dort gehört es auch hin, dort sitzen die Profis und dort sind die Daten vorhanden. Denn wenn das so einfach wäre, dann bräuchten wir die anderen Mitarbeiter in der Verwaltung nicht ... Wichtig ist als OB, dass du die Prozesse anstößt und sie am Laufen hältst.
VorSicht: Das Wachstum der Stadt hat natürlich Einfluss auf die Verfügbarkeit von Wohnraum. Schon seit Jahren wird dieser in Mainz immer knapper und teurer. Welche Lösungsansätze verfolgen Sie?
Nino Haase: Wir haben ganz klar eine Situation, die wirklich angespannt ist. Der Wohnungsbau ist im Moment de facto nicht mehr existent. Wir waren vor ein paar Wochen in München auf der Expo Real. Eine Erkenntnis war: Es wird kaum mehr gebaut und kaum mehr etwas verkauft. Ich habe mit großen Projektentwicklern gesprochen, die sagten: Wenn wir aktuell im Monat eine Wohnung verkaufen, ist das viel. Das ist natürlich in ei- ner Phase, in der die Mieten ohnehin extrem gestiegen sind und die Städte wie verrückt wachsen, ein Riesenproblem.
Wir müssen also die Diskussion führen, ob wir in vielen Baugebieten nicht die Quoten für geförderten Wohnraum anheben. „Gefördeter Wohnraum“ ist als Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ich glaube, aktuell sieht die ISB ein Ehepaar mit zwei Kindern mit einem Bruttoeinkommen von unter 96.000 Euro im Jahr als förderfähig.
Vor einigen Jahren wollten Projektentwickler noch null Prozent geförderten Wohnraum durchdrücken, weil die Zinsen so niedrig waren. Aber mittlerweile bekommen wir An- fragen über 100 Prozent geförderten Wohn- raum.
VorSicht: Auch als Einkaufsstadt befindet sich Mainz derzeit im Um- und Aufbruch. Die Ludwigstraße verändert sich tiefgreifend. Wie wird sich Mainz als Einzelhandelsstandort verändern in den nächsten Jahren?
Nino Haase: Ich glaube, mit dem aktuellen Konzept für die LU hat Mainz richtig viel Glück. Es ist eine gute Mischung aus Shoppingerlebnis, aus Gastronomie, aus Kultur. Dieser Dreiklang ist es, der unsere Innenstädte weiter am Leben erhalten wird. Um mit dem Warenangebot über das Internet konkurrenz- fähig zu bleiben, müssen die zukünftigen Innenstädte eine entsprechende Mischung bieten. Und deswegen bin ich froh über dieses Projekt. Es muss weitergehen mit solchen innovativen Ansätzen wie „Mainz leuchtet“, unserem Late Light Festival. Auch ein Marktfrühstück gehört dazu, dass eine Stadt lebt. Natürlich muss man hier und da schauen, dass man das im Zaum hält. Ich glaube, das ist uns dieses Jahr ganz gut gelungen. Wir brauchen ganz unterschiedliche Reize, um die Menschen in die Stadt zu locken. Und dafür sind Beispiele wie die LU, aber auch das Kulturkaufhaus oder der Neubau des Gutenbergmuseums wichtige Punkte.
VorSicht: Sie sind ohne große Verwaltungserfahrung und ohne politisches Netzwerk ins Amt gestartet. Im Rückblick: Hat es Sie eher Kraft gekostet, die Vorbehalte zu überwinden oder hat das Team Ihrer Einschätzung nach davon profitiert?
Nino Haase: Natürlich hat es immer wieder Situationen gegeben, in denen ich hinterfragt habe, warum einzelne Dinge so laufen wie sie laufen. Viele kleine Verwaltungsprozesse, zum Beispiel Wiederbesetzungsanträge, Kündigungen in der Probezeit, Erlaubnisse für technische Ausstattung, im kleinen Maßstab – all das lief zu Anfang über meinen Schreibtisch. Das haben wir zum Teil abgeschafft und begonnen, Abläufe zu verschlanken und einige Kompetenzen in den Ämtern zu belassen. Einfach mal Dinge ausprobieren, wenn sie vielleicht auch nicht perfekt sind, beispiels- weise haben wir so die Arbeitszeiterfassung verändert.
Ein Blick von außen schadet nie, aber auf der anderen Seite, ohne den Blick von innen und ohne die Expertise der Leute in der Verwaltung, ist es halt auch nicht möglich, diesen Job überhaupt zu absolvieren. Man hat ja im Alltag genügend Berührungs- punkte mit der Landesregierung. Man kennt die Akteure und trifft sich regelmäßig. Dann ist es wie überall anders auch: Man lernt sich kennen und versucht, Vertrauen aufzubauen. Das ist nach sechs Monaten sicherlich noch kein abgeschlossener Prozess. Es funktioniert aber und ich wachse immer mehr in die Zusammenhänge. Meine Aufgabe ist es natürlich, den Standpunkt der Stadt zu vertreten und die eine oder andere Fragestellung öffentlich zu flankieren.
VorSicht: Wie ist Ihr Selbstverständnis – Verwaltungsschef oder Anwalt der Bürger?
Nino Haase: Ich sehe mich tatsächlich als beides. Natürlich bin ich primär Chef der Verwaltung, genauso wie ein „Bürger-Meister" immer noch der erste Bürger der Stadt sein sollte. Ich bin also weiterhin Bürger – und Mitglied der Verwaltung. Das versuche ich auch bei den anderen Mitgliedern des Stadtvorstand zu kommunizieren: Wir sind Mitglieder der Verwaltung und nicht mehr Mitglied der Fraktionen oder Parteien.
Der Oberbürgermeister ist ein Bindeglied zwischen den drei Polen Stadtrat, Verwaltung und Bürgerschaft. Und in der Funktion fühle ich mich auch ganz wohl. Ich glaube, das sieht man auch an den vielen Beteiligungsprozessen dieses Jahr. Die will ich auch weiter- führen. Ich komme aus einer Bürgerinitiative – und Bürgerbeteiligung erachte ich weiter als sehr wichtig, auch bei der Stadtentwicklung, so kann man sich viele Diskussionen im Nachhinein ersparen.• T.S.