Mein Geschmack leitet mich

VorSicht: Sie sind nach über einem Jahr Corona-bedingter Konzert-Abstinenz wieder auf Tour – ein völlig neues Gefühl, wieder auf der Bühne zu stehen?

Nils Wülker: Es fühlt sich tatsächlich wieder neu an, aber dennoch vertraut. Es ist auf jeden Fall sehr schön, wieder auf Tour zu sein. Ich habe letztes Jahr im September ein neues Album veröffentlicht, „Go“ heißt es. Eigentlich hätten wir schon letzten Herbst damit ausgedehnt auf Tour sein wollen. Das wurde natürlich alles verschoben. Wir alle in der Band haben die Live-Konzerte sehr vermisst. Und ich habe den Eindruck, das Publikum hat es auch vermisst. Insofern war es sehr schön, endlich mal wieder für andere Menschen in einem Raum Musik machen zu können – nicht nur über Streaming und dergleichen.

VorSicht: Da lernt man die früher eigentlich alltäglichen Dinge wie- der zu schätzen ...

Nils Wülker: Ich würde es gar nicht als alltäglich bezeichnen, denn ein solcher Konzertabend ist immer etwas Besonderes. Aber wir hätten uns ja vor zwei Jahren alle nicht ausmalen können, was da auf uns zu rollt. Ich habe nächstes Jahr 20-jähriges Bühnenjubiläum – wenn ich von der ersten Platte ab rechne. 18 Jahre lief es sehr normal, ich war mehrmals im Jahr auf Tour – und jetzt gute eineinhalb Jahre ohne diese Möglichkeit – das war schon sehr eigenartig.

VorSicht: Ihr Kollege Till Brönner hat in einem öffentlichkeitswirksamen Statement auf die prekäre Lage der gesamten Branche hingewiesen. Nicht nur auf die der Künstler, sondern auch auf die der Mitarbeiter im Hintergrund. Wie haben Sie die Situation erlebt?

Nils Wülker: Ich kenne eine Menge Leute, die die Untätigkeit sehr hart getroffen hat. Es ist so, dass die meisten staatlichen Hilfen auf Firmen zugeschnitten sind. Freiberufler fallen da oft durchs Raster. Ich bin ganz gut durch die Zeit gekommen, weil ich davor ein paar sehr gute Jahre hatte und dennoch einige Dinge machen konnte. Ich habe die Zeit genutzt, um zwei Alben zu produzieren und war Anfang des Jahres für ein Projekt mit dem schwedischen Radiosynfonieorchster in Schweden. Aber zum Beispiel viele Tontechniker haben die Branche gewechselt. Viele haben das nicht durchgestanden und mussten sich umorientieren. Das sind natürlich auch Leute, die jetzt fehlen. Gute Leute bekommen aus ganz Deutschland Anrufe, ob sie nicht irgendwo einspringen können.

VorSicht: Zu einem erfreulicheren Thema, der Musik: Sie sind Jazz-Trompeter. Jazz gilt bei vielen Menschen als etwas schwierig, nichts für die Durchschnittshörer. Sie versuchen, Grenzen aufzusprengen. Wir würden Sie Ihren Stil und Ihre Philosophie beschreiben?

Nils Wülker: Meine Musik ist auf jeden Fall sehr melodisch, sehr atmosphärisch. Nicht im Sinne von soft, aber viele Hörer reagieren sehr assoziativ auf die Musik. Meine Philosophie ist im Prinzip mein eigener Geschmack. Ich lasse mich von dem leiten, was ich selber mag und was mich gerade interessiert, was mich inspiriert. Ich bin nicht nur mit Jazz aufgewachsen, der kam erst später dazu. Jazz ist zwar schon die Basis dessen, was ich musikalisch mache, aber meine Interessen sind sehr vielfältig – und das spiegelt sich in meiner Musik wider. Andererseits fühle ich mich auch in der Tradition des Jazz, weil Jazz eigentlich immer eine Musik war, die viele Jahre populäre Strömungen mit aufgenommen hat. Ob das Jazz-Rock war, Bossa Nova oder kubanische Musik in den 50er Jahren. Es war also nie eine abgeschlossene Kunstform. Sie hat immer in anderen Genren „gewildert“. Aber es stimmt schon, viele Menschen haben die diffuse Vorstellung, Jazz ist vielleicht kompliziert. Aber in unserem Fall ist es Musik, auf die man sich auf vielen Ebenen einlassen kann. Viele Menschen in meinen Konzerten sagen: Wir hätten nicht gedacht, dass Jazz auch so sein kann. Man braucht keine theoretische Auseinandersetzung mit der Musik, um daran Spaß zu haben.

VorSicht: Wie haben Sie zur Trompete gefunden, Sie sind ja eigentlich mit dem Klavier in die Musik gestartet?

Nils Wülker: Das lief über den Klang. Als Kind hat mich immer der Sound der Trompete fasziniert, das Strahlende, das Heroische. Letztlich fasziniert mich der Klang immer noch am meisten, nur dass ich jetzt gemerkt habe, dass man dem Instrument noch ganz andere Sounds entlocken kann. Trompete ist ein- fach wahnsinnig vielfältig. Man kann super soft spielen, ganz fragil, sehr nahe an der menschlichen Stimme. Ich höre immer wieder Menschen, die sagen, sie hätten das Gefühl, ich würde durch das Instrument zu ihnen sprechen. Das finde ich immer sehr schön. Man kann aber auch richtig los rocken, richtig pratzig powern. Die Bandbreite ist einfach riesig.

VorSicht: Gibt es jemanden, von dem Sie sagen: So würde ich gerne spielen?

Nils Wülker: Letztlich bin ich durch Miles Davis zum Jazz gekommen – und er ist nach wie vor ein riesen Vorbild. Miles konnte Sachen
spielen, die sehr komplex sind, aber auch eine Tiefe haben, eine Einfachheit. Das ist auch etwas, das ich anstrebe. Und vor allem war er ein Typ, der konnte einen Ton spielen und man wusste: das ist Miles. Das wünscht sich natürlich jeder Künstler – eine klar erkennbare Handschrift. Insofern ist er nach wie vor ein großes Vorbild.

VorSicht: Welches Instrument würden Sie gerne neu hinzu lernen?

Nils Wülker: Ich würde gerne gut Schlagzeug spielen können ... Ich hatte auch mal eine Weile ein Schlagzeug im Studio stehen, aber ich kann halt nur ein bisschen drauf rumhauen, das kann man nicht Schlagzeug spielen nennen. Mit den Tasten mache ich schon viel, dadurch, dass ich meine Musik auch immer selbst komponiere, sitze ich viel am Flügel. Und jetzt beim aktuellen Album „Go“ habe ich sehr viele der Synthy- und Keyboard-Parts selber gespielt. Aber Schlagzeug zu spielen - das wäre auf jeden Fall noch cool.

VorSicht: Sie werden im Januar in Ingelheim zu Gast sein. Was verbinden Sie mit Rheinland-Pfalz und dem Rhein?

Nils Wülker: Mit dem Rhein eine ganze Menge. Ich bin in Bonn aufgewachsen. Erst zum Studium bin ich nach Berlin gegangen. Von daher verbinde ich meine Kindheit mit dem Rhein. In der Region bin ich schon öfter aufgetreten, bei Bingen swingt zum Beispiel. Oder beim Rheingau Musik Festival. Es ist auf jeden Fall eine Gegend, in der sehr viel passiert, wo auf kleinem Raum wahnsinnig viele gute Konzertorte zu finden sind.